Wie wirkt sich die intensive Beschäftigung mit der eigenen Sterblichkeit auf unsere Einstellung gegenüber Tod/Sterben und auf unser Sinnerleben aus?

Spitzenstätter, D. & Schnell, T. (2020). Effects of mortality awareness on attitudes toward dying and death and meaning in life—a randomized controlled trial. Death Studies, 1–15. https://doi.org/10.1080/07481187.2020.1808737

Gehen Sie einer Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit eher aus dem Weg oder können Sie ihre eigene Endlichkeit akzeptieren?

Der Mensch kann verschiedene Haltungen gegenüber seinem eigenen Tod einnehmen. Auf der einen Seite steht ein defensiver Umgang, bei dem die Gedanken an den Tod und/oder die eigene Sterblichkeit verdrängt werden, auf der anderen ein wachstumsorientierter Umgang, bei dem die eigene Endlichkeit trotz der mit dem Tod einhergehenden Ungewissheit akzeptiert werden kann.

Die Terror Management Theory (TMT) geht davon aus, dass Menschen defensiv und unbewusst auf die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit reagieren. Diese Umgangsform wird einerseits durch die verstärkte Orientierung an kulturell geteilten Weltanschauungen und andererseits dem Streben nach einem gestärkten Selbstwertgefühl, das auch mit gesellschaftlichen Werten zusammenhängt, sichtbar. Beide Strategien sollen als eine Art Puffer gegen existentielle Ängste bei der Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit dienen.

Demgegenüber stehen mehrere wissenschaftliche Studien, die Hinweise liefern, dass die Beschäftigung mit der eigenen Sterblichkeit das persönliche Wachstum fördern, die Angst vor dem eigenen Tod mindern und die eigene Verdrängung des Todes abschwächen kann. Ein Beispiel hierfür wäre die Meaning Management Theory (MMT). Diese geht von einem Wechselspiel zwischen der Angst vor dem Tod, der Akzeptanz des Todes und dem individuellen Sinnerleben aus. Dieser Theorie zufolge führt ein sinnerfülltes Leben zu mehr Akzeptanz des Todes, was wiederum mit weniger Angst vor dem Tod einhergeht.

Das Studienziel der vorliegenden Untersuchung bestand darin, Auswirkungen einer intensiven Beschäftigung mit dem eigenen Tod und Sterben zu erheben und zu klären, ob sich diese auf das Sinnerleben sowie auf die Einstellungen gegenüber Tod/Sterben auswirkt.

Dafür wurden 98 Teilnehmer*innen nach dem Zufallsprinzip entweder zur Experimentalgruppe (EG) oder zur Kontrollgruppe (KG) zugeteilt. Zu Beginn wurden von allen Teilnehmenden mittels Fragebögen die demografischen Daten, das Selbstwertgefühl, die Einstellungen gegenüber Tod/Sterben sowie Sinnerfüllung und Sinnkrise erhoben. Im Gegensatz zur KG bearbeitete die EG in den darauffolgenden sieben Wochen verschiedene Aufgaben, die die Proband*innen dazu anregen sollten, bewusst und auf eine intensive und persönliche Weise über die eigene Sterblichkeit nachzudenken. Nach einer Zwischenerhebung folgte elf Wochen nach Beginn der Untersuchung die finale Erhebung, bei der alle Teilnehmenden beider Gruppen erneut alle zuvor genannten Fragebögen bearbeiteten. Um längerfristige Veränderungen festzustellen, fand acht Monate nach Beginn der Untersuchung wiederholt eine freiwillige Erhebung statt.

Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass die intensive Beschäftigung mit dem Sterben/Tod der EG über den Erhebungszeitraum hinweg zu mehr Akzeptanz des eigenen Sterbens führte. Wichtig ist, dass dieser Effekt nur in Bezug auf das eigene Sterben und nicht auf den eigenen Tod gefunden werden konnte. Bereits in früheren Untersuchungen zeigte sich, dass der eigene Tod offenbar eher akzeptiert werden kann und weniger Angst auslöst als das eigene Sterben. Folglich besteht in Bezug auf Einstellungen gegenüber dem eigenen Sterben mehr Raum für Veränderungen als in der Haltung zum eigenen Tod. Genauere Analysen legten außerdem nahe, dass die verstärkte Beschäftigung mit dem Sterben/Tod nicht direkt die Angst vor dem eigenen Sterben verringerte, diese aber indirekt abnahm, wenn die Akzeptanz des eigenen Sterbens anstieg.

Widersprüchlich zu früheren Forschungsergebnissen war, dass in der vorliegenden Untersuchung die Einstellungen gegenüber Sterben/Tod weitgehend unabhängig vom Sinnerleben waren. Auch führten die Aufgaben zur Beschäftigung mit dem eigenen Sterben/Tod im Allgemeinen nicht zu einer Veränderung des Sinnerlebens. Eine Ausnahme diesbezüglich zeigte sich, wenn man auch die Religiosität der Proband*innen in die Analyse miteinbezog: Während die Sinnerfüllung bei religiösen Teilnehmenden über den Untersuchungszeitraum hinweg stabil blieb, nahm sie bei säkularen Teilnehmenden (Atheist*innen, Agnostiker*innen) leicht ab. Dies könnte auf eine mögliche Pufferfunktion von Religiosität gegen existentielle Bedrohungen hinweisen, die auch im Einklang mit der TMT steht. Entgegen der Annahmen der TMT ließ sich jedoch für den Selbstwert einer Person in der vorliegenden Studie keine Pufferfunktion nachweisen. Eine Erklärung hierfür wäre, dass ein hoher Selbstwert für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod nur kurzfristig wirksam (wie bspw. in typischen TMT-Experimenten), allerdings weniger bedeutsam bei einer längeren, bewussten Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit ist.

Es muss erwähnt werden, dass die Stichprobe vorwiegend aus Studierenden bestand und damit der Altersdurchschnitt mit 25 Jahren eher niedrig war. Es könnte sein, dass bei jüngeren Menschen der Tod noch nicht so stark mit der Konzeption von Sinnerleben zusammenhängt wie bei älteren Menschen. Folglich sind die Ergebnisse nicht auf andere Personengruppen verallgemeinerbar. Eine weitere Einschränkung der Studie ist, dass die Stichprobe insgesamt eher klein war und folglich kleinere Effekte der Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit unentdeckt geblieben sein könnten.

Zukünftige Forschungsprojekte könnten sich den Fragen widmen, ob sich die Beziehung zwischen Sinnerleben und den Einstellungen gegenüber dem Tod und Sterben über die Lebensspanne hinweg verändert oder ob die intensive Beschäftigung mit dem Tod/Sterben sich auf spezifischere Aspekte des Sinnerlebens, wie zum Beispiel individuelle Lebensziele oder Sinnquellen, auswirkt.

Zusammengefasst von Sarah Salzmann

Weiterführende Informationen zur Terror Management Theory:

https://tmt.missouri.edu/index.html

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