Umgang mit dem Thema Tod: Eine persönliche Stellungnahme aus psychologischer Perspektive

Lena Streng

Nach dem griechischen Philosoph Epikur ist der Tod für die Menschen ein Nichts. Denn wenn der Mensch existiert, ist der Tod nicht präsent und wenn der Tod eintritt, existiert der Mensch nicht mehr (Epikur, 1973). In ähnlichem Sinn beschreibt Sartre die Stellung des Todes: „Die Freiheit, die meine Freiheit ist, bleibt total und unendlich; nicht weil der Tod sie nicht begrenzt, sondern weil die Freiheit dieser Grenze nie begegnet“ (Sartre, 1991, S. 941). Der Tod als „kontingentes Faktum“ (ebenda, S. 934), festgelegt wie die Geburt in der Conditio Humana, stellt folglich keine Begrenzung der Freiheit dar (Sarte, 1968). Endlichkeit setzt Sartre nicht mit Sterblichkeit gleich. Vielmehr ist der Mensch endlich, da er aus vielen Möglichkeiten frei wählt und die getroffene Entscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Aus diesem Grund wäre ein unsterbliches Wesen trotzdem endlich (Sartre, 1991).

Des Weiteren kann der Tod nicht sinnstiftend für das Leben wirken, zumal dieser das Ende aller Möglichkeiten und Entwürfe markiert und für Sartre daher absurd ist (Kampits, 2003). Der Tod raubt dem Leben jeden Sinn, da „seine Probleme ungelöst bleiben und […] die Bedeutung der Probleme unbestimmt bleibt.“ (Sartre, 1991, S. 928) Zeitlich gesehen ergibt sich der Sinn der Vergangenheit erst in der Gegenwart sowie die Bedeutung der Gegenwart in der Zukunft (ebenda). Allerdings ist der Tote nicht mehr fähig auf seine Handlungen zurückzuschauen um diesen Bedeutung zu verleihen. Folglich ist der ganzheitliche Sinn des Lebens des Verstorbenen nur noch von den Hinterbliebenen zu beurteilen. Aus diesem Grund wird für Sartre der Tod zum „Triumph des Standpunktes des Anderen“ (Kampits, 2003, S.220). Falls diese vergessen, löst sich die persönliche Existenz des Verstorbenen auf (Sartre, 1991).

Eine andere Perspektive bietet Frankl in seinen Ausführungen aus psychologischer Sicht zum Tod. Für ihn stellt der Tod neben Leid und Schuld ein wesentliches Element menschlicher Existenz dar. Frankl versinnbildlicht das Leben in seinen zeitlichen Facetten im Gleichnis von der Sanduhr. Die Zukunft im oberen Glas scheint in Bewegung und veränderlich. Der Sand rinnt durch den Engpass der Gegenwart, wodurch dieser in der Vergangenheit im unteren Glas verewigt wird. Durch die Verwirklichung der Schaffens- und Erlebensmöglichkeiten wird aus Vergänglichkeit unwiderruflich geborgene Vergangenheit (Frankl, 1972). Im Gegensatz zu Sartre ist für Frankl die „Endlichkeit des Menschen […] vor allem gegeben in der Zeitlichkeit seiner Existenz“ und ist mit der Sterblichkeit gleichzusetzen (Frankl, 1972, S. 104). „Der lebende Mensch hat Vergangenheit und hat Zukunft; der Sterbende hat keine Zukunft mehr, sondern nur mehr Vergangenheit; der Tote aber ist seine Vergangenheit“ (ebenda, S. 55). Damit ist das menschliche Leben im Moment des Todes vollendet und jedes einzelne Sandkorn ist in die Vergangenheit eingerieselt. Die Frage, was der Mensch letztendlich alles am Boden der Sanduhr verewigt hat, führt zu Frankls Hauptaussage: Aufgrund der zeitlichen Endlichkeit trägt jeder Mensch Verantwortung für sein Handeln und Wirken in der Gegenwart und was dieser in die Wirklichkeit des Vergangen-seins hineinretten möchte. Angelehnt an Kants Imperativ, verdeutlicht Frankl seine Aufforderung, aus dem Bewusstsein der Vergänglichkeit, Sinn für sein Leben zu finden: „Handle so, als ob du zum zweitenmal lebtest und das erstemal alles so falsch gemacht hättest, wie du im Begriffe bist, es zu tun.“ (Frankl, 1972, S. 104).

Die systematische Verzerrung in allen Theorien und Gedanken über den Tod und was letztendlich danach kommt, liegt in der Begrenzung, nur Lebende nicht jedoch Tote darüber befragen zu können. Folglich kann kein Lebender sicher sagen, was im Moment des Todes passiert und inwie-fern das Bewusstsein weiter besteht. Daher ist für mich vor allem relevant, welche Schluss-folgerungen der Mensch für sein Leben aus diesen Theorien und schließlich seinen eigenen Vorstellungen und Gedanken über den Tod ziehen kann. Geht dieser mit seinem Leben achtsamer sowie bewusster um? Stürzt er in Angst und Verzweiflung oder verdrängt er den Gedanken und fällt bei plötzlicher unmittelbarer Konfrontation mit dem Tod in hilflose Überforderung? Hierbei kann die Psychotherapie notwendig werden. Der Tod ist für uns Menschen allgegenwärtig und ein Teil unseres Lebens. Des Weiteren müssen wir im Normalfall vor unserem eigenen Tod eine Strategie finden, mit der Sterblichkeit geliebter Menschen umzugehen. Sartres eher harte Dar-stellung, dass der Tod keine letzte Sinnverleihung für das Leben sein kann, erscheint mir dafür weniger geeignet. Diesbezüglich ist die Sicht Frankls in Anbetracht der radikalen Endlichkeit, jeden Moment seines Lebens zu nutzen und mit Sinn zu erfüllen, für mich eine tröstliche und positive Umkehrung der dem Bewusstsein entziehenden Wahrheit. Diese Annahme ermöglicht in der Trauer um einen geliebten verstorbenen Menschen, die Vorstellung aufzubauen, dass dieser Mensch innerhalb seiner Möglichkeiten sinnerfüllt gelebt und seine Chancen genutzt hat. Für mich erscheint die Konfrontation mit der Thematik Tod für jeden Menschen sinnvoll, vergleichbar mit der Ansicht Binswangers: „Wenn wir uns mit dem Tod beschäftigen, werden wir am ehesten das Leben zu verstehen wissen“ (Boeree, 2006, S. 10). Dies kann als eine Art Ressource fungieren, das Leben für sich sinnerfüllt zu gestalten sowie die Trauer insbesondere über den unerwarteten Tod eines Anderen zu bewältigen. Außerdem trägt der Mensch im Sterben oder nach seinem Tod meiner Meinung nach weiterhin Verantwortung. Beispielsweise die Auseinander-setzung damit, inwiefern ich im Falle meines Todes Organe spenden möchte. Dies ist wiederum abhängig von der vorherigen Konfrontation mit dem Thema und der Bildung eigener Vorstellungen über den Tod. Insbesondere für Psychotherapeuten ist eine Beschäftigung mit dem Thema Tod empfehlenswert, da sie mit einer eigenen Meinung auch ihren Klienten zu eigenen Vorstellungen verhelfen können. Gegenwärtig gilt der Tod noch immer eher als Tabuthema. Innerhalb des geschützten therapeutischen Rahmes kann daher die Thematisierung von Ängste und Gedanken der Patienten bezüglich des Todes unterstützend sowie bereichernd wirken. Steht das Leiden des Klienten wie möglicherweise bei Gewalttraumata in direkter Verbindung mit einer Todeserfahrung, ist die individuelle und empathische Feststellung des Therapeuten wichtig, um diesem aus den Erlebnissen wieder Sinn für sein Leben zu vermitteln. Für viele Menschen Ist die Vorstellung des eigenen Todes beängstigend und unvorstellbar. Lǎozǐ umschreibt dies in seinem Zitat folgendermaßen: „Was die Raupe Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt Schmetterling.“ (Melzer, 2005).

 

Literatur

Boeree, C. G. (2006). Persönlichkeitstheorien. Ludwig Binswanger. Zugriff am 13.03.2014. Verfügbar unter http://www.social-psychology.de/do/PT_binswanger.pdf
Epikur (1973). Philosophie der Freude. J. Mewaldt (Übers. u. Hrsg.). Stuttgart: Alfred Kröner.

Frankl, V. E. (1972). Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie. Bern: Hans Huber.

Frankl, V. E. (1979). …trotzdem ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (4. Aufl.). München: Kösel.

Kampits, P. (2003). Grundlose Freiheit. In B. N. Schuhmacher (Hrsg.), Jean-Paul Sartre. Das Sein und das Nichts (S. 211-225). Berlin: Akademie.

Melzer, G. (2005). Zitate – Literaturzitate – Allgemein. Zugriff am 13.03.2014. Verfügbar unter http://www.zitate-online.de/literaturzitate/allgemein/365/was-die-raupe-ende-der-welt-nennt-nennt.html

Sartre, J.-P. (1968). Drei Essays: Ist der Existentialismus ein Humanismus? Materialismus und Revolution. Betrachtungen der Judenfrage. Frankfurt a. M.: Ullstein.

Sartre, J.-P. (1991). Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Philosophische Schriften, Band 3. Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie. T. König (Hrsg. & Übers.) & H. Schöneberg (Übers.). (1.Aufl der Neuübers.). Hamburg: Rowohlt.

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