Persönliche Stellungnahme: Der Umgang mit dem Thema Tod

Sylvia Wauthier

Wer darüber klagt, dass jemand gestorben ist, klagt darüber, dass er ein Mensch gewesen ist.

(Lucius  Annaeus Seneca der Jüngere)

 

Das Leben ist untrennbar mit dem Tod verbunden. Während der Tod eines anderen in seinen Folgen direkt erfahrbar ist, ist der eigene Tod weit weniger greifbar. Das eigene Sterben, der Übergang vom Sein zum Nicht-Sein stellt eine existentielle  Bedrohung für den Menschen dar. Im Umgang mit dem eigenen Tod kann ich persönlich sowohl Erleichterung,  einen Weg zu Freiheit in der Gestaltung des Lebens und einen Ansporn zu einem wahrhaftigen  Leben finden.

Erleichterung  

Gerade in Belastungssituationen oder Krisen stellt die eigene Endlichkeit einen gewissen Trost dar: So wie das eigene Leben einmal enden wird, so werden auch die Sorgen, Ängste und Unwägbarkeiten  des eigenen Lebens ein Ende finden. Es beruhigt, zu wissen, das alles – egal wie schwer und belastend  es sein mag – spätestens am Lebensende zu einer Lösung finden wird.

Freiheit   

Antworten auf die Frage, was nach dem Tod sein wird, können eine Richtschnur für die Lebensgestaltung  sein. Er hat nicht nur die immanente Konsequenz der Endlichkeit, sondern verweist auch auf das Transzendente. Epikur sieht den Tod als ein Nichts. Er ist ein Zustand, in dem die Empfindungen aufgehoben werden und hat damit keine Bedeutung für den Menschen. Der Tod wird erst präsent, wenn das Individuum nicht mehr existiert, betrifft also nicht den lebenden Menschen. Einzig eine hohe Qualität  des Lebens,  also ein Leben reich an Freude, solle angestrebt werden (Epicurus & Mewaldt, 1973). Epikur lehnt jegliche Ausrichtung auf ein Leben nach dem Tod ab und zieht aus der Nichtigkeit des Todes die Freiheit, den Sinn des Lebens unabhängig  von externen Maßstäben zu definieren.

Ich kann mich Epikur nur bedingt anschließen. Ich sehe im Moment des Sterbens einen Zeitpunkt, an dem das, was das Leben ausgemacht hat bedeutungslos wird. Da die Form der Existenz nach dem Tod unklar ist, sehe auch ich keine objektiven Maßstäbe denen der Mensch sich unterordnen sollte um gut für eine Existenz nach dem Tod ’vorzusorgen’. Das einzig objektive, auf das sich der Mensch stützen kann, ist seine Subjektivität. Nur das Innerste,  das was nicht von Kultur und Erziehung geformt wurde, kann als Maßstab zum Finden des eigenen Weges dienen. Ein Leben reich an Freude, wie Epikur es fordert, entspricht dem nur, wenn es sich dabei um die tief empfundene eudämonische Freude handelt. In der Auseinandersetzung mit dem Tod kann der Mensch die Freiheit finden, das Leben selbstbestimmt zu gestalten.

Ansporn  

Aus dieser Freiheit heraus und aus dem Mangel an objektiven Maßstäben sehe ich die Herausforderung, sich mit den eigenen Wertigkeiten auseinanderzusetzen. Wie wichtig sind Anerkennung, Macht und Karriere und wie wichtig sind sie mir? Wie setze ich die Prioritäten und sollen bereichernde und beglückende Dinge hinter dem Erreichen gesellschaftlicher Anerkennung zurückstehen? Was ist es, das mich als Individuum auszeichnet? Was ist es, das ich der Welt zu geben habe?

Heidegger unterscheidet zwischen einem authentischen und inauthentischen Leben. Bei letzterem entscheiden kulturelle Vorgaben und Bewertungen die Essenz und das Handeln und nicht das dem Individuum Innewohnende. Der Mensch nimmt diese kognitive Dissonanz im Erleben von Angst wahr. Sie ermöglicht, dass der Widerspruch erkannt wird und behoben werden kann. Allerdings lenken die Aufgaben des Alltags meist zu sehr ab, der Kontakt zur Angst und der Weg zum authentischen Leben durch aktives Wählen der Essenz gehen verloren. Das Anerkennen der Unsicherheit und Endlichkeit der eigenen Existenz kann den Kontakt zur Angst bestehen lassen und als Weckruf zu einem authentischen  Leben dienen (Martin, Campbell & Henry, 2004).

DeWall und Baumeister (2007) haben die emotionalen  Prozesse bei der Konfrontation mit dem Tod untersucht. Die Auseinandersetzung mit dem psychologisch bedrohlichen Fakt der Sterblichkeit bringt eine unmittelbare Ausrichtung auf emotional Positives mit sich. Ihrer Meinung nach wird ein unbewusstes, schnell einsetzendes System aktiviert, das nach positiven Gedanken sucht. Möglicherweise handelt es sich bei diesen positiven Gedanken um Dinge, die dem Menschen innewohnen und seinem Innersten entsprechen. Die Auseinandersetzung mit der Sterblichkeit kann also ein Weg zu sich selber sein.

Psychotherapeutischer Nutzen   

Aus psychotherapeutischer Perspektive kann der Umgang mit  der eigenen Sterblichkeit eine Chance darstellen, die eigenen, persönlichen Prioritäten zu bestimmen. Das auf sich selbst Zurückgeworfensein und Alleinsein im Tod lässt die Frage nach dem Innersten klarer zutage treten und im Bewusstsein der begrenzten Lebenszeit den Mut und Willen zu Veränderung  wachsen. Wie diese Thematik eingesetzt wird hängt vom Klienten und den Umständen ab. Intellektualisierende Klienten können davon profitieren, Kontakt zu ihren Emotionen zu finden. Bei Klienten, die sich stark von anderen abhängig machen, sollte eine feinfühlige Konfrontation erst erfolgen, wenn die Klienten-Therapeuten-Beziehung sicher genug ist, um den Klienten in der zu erwartenden Krise aufzufangen. Da der Tod eine unausweichliche Tatsache im Leben darstellt, sollte in der Therapie auf eine gesunde Haltung des Patienten dazu geachtet werden. In der Psychotherapie geht es auch immer darum, zum eigenen Selbst zurückzufinden und ein ganzer Mensch zu werden. Unter diesem Gesichtspunkt kann großer Nutzen aus der Thematisierung der Endlichkeit gewonnen werden.

Wer darüber klagt, dass er sterben wird, klagt darüber, dass er ein Mensch ist. Wer erkennt, dass  er sterben wird, kann „das  Leben, als die große Aufgabe  der Mensch- Werdung“ (Probst, 1993, S. 41) annehmen.

(Christoph Probst schrieb dies am 27.08.1942 seinem Bruder. Probst war Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose, wechselte Anfang Dezember 1942 zu seinem Schutz – er hatte drei kleine Kinder – von München an die Universität Innsbruck. Zum Zeitpunkt dieses Briefes, war der Gruppe die Bedrohung auf Grund ihres Engagements bewusst. In seinem Brief spricht Christoph Probst davon, dass der Sinn des Lebens die Vollendung der eigenen Person sei. In existentieller Bedrohung setzte er sich, dem Ruf des authentischen  Lebens folgend, für seine Ideale ein. Am 19.02.1943 wurde er in Innsbruck festgenommen und am 22.02.1943 in München Stadelheim hingerichtet.)
 

Literaturverzeichnis

DeWall, C. N. & Baumeister, R. F.  (2007). From terror to joy: automatic tuning to positive affective information following mortaility  salience. Psychological Science, 18(11), 984-890.

Epicurus &  Mewaldt, J.   (1973).   Philosophie der Freude: Eine Auswahl aus seinen Schriften. Stuttgart: Kröner.

Martin,  L. L., Campbell, W. K. &  Henry, C. D. (2004). The Roar of Awakening. Mortality Acknowledgement as a Call to Authentic Living. In J. Greenberg, S. L. Koole & T. Pyszczynki (Hrsg.), Handbook of Experimental Existential Psychology (S. 431-448). New York: The Guilford Press.

Probst, C. (1993). Brief vom 27.8.1942. In Christoph Probst (1919-1943): Wir müssen es wagen  … (S. 40-41). Gilching: Christoph-Probst-Gymnasium Gilching.

 

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