‘‘[W]hen we relate to nature we are but putting our roots back into their native soil’’ Rollo May, 1953

Softas-Nall, S., & Woody, W. D. (2017). The Loss of Human Connection to Nature: Revitalizing Selfhood and Meaning in Life through the Ideas of Rollo May. Ecopsychology, 9(4), 241-252.

 

Haben wir Menschen in unserer hochtechnisierten Welt die Verbindung zur Natur und zu uns selbst verloren? Könnte diese Entwicklung einer der Gründe für die steigende Zahl an Depressionen und Ängsten sowie für vermehrte Gefühle von Sinnverlust in unserer westlichen Gesellschaft sein? Und könnte die Wiederbelebung dieser verlorenen Verbindung eine Möglichkeit sein, solche und andere Probleme zu bekämpfen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Sofia Softas-Nall und Douglas Woody, indem sie die Ideen des Existentiellen Psychologen Rollo May (1909-1994) vorstellen und Parallelen zu heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen ziehen.

Mitte des 20. Jahrhunderts proklamierte Rollo May die Idee, dass die Menschen drei essentielle Werte verloren hätten: Das Gefühl für sich selbst, den Sinn im Leben und die Verbindung mit der natürlichen Welt. Er machte unter anderem den technischen Wandel dafür verantwortlich, welcher die früher häufig landwirtschaftlichen und ländlichen Lebensweisen durch die Industrialisierung grundlegend veränderte. Hierbei wies er auf die steigende Zahl an Menschen hin, welche mit Depressionen, Ängsten und einem Gefühl von Sinnlosigkeit kämpfen. Er nannte seine Zeit das „Zeitalter der Angst“, wobei er die Angst als größte Zerstörerin von menschlicher Gesundheit und Wohlbefinden sah.

Um diesen Entwicklungen entgegenwirken zu können, forderte Rollo May die Wiederbelebung und Verstärkung der Beziehung der Menschen zur Natur. Er sah eine enge Verbindung zwischen der Fähigkeit ein Gefühl für die Natur und der Fähigkeit ein Gefühl für sich selbst zu haben. May war der Meinung, dass diese Erkenntnis Menschen helfen kann die eigene Beziehung zur Welt besser zu verstehen und damit Sinnlosigkeit und Angst zu überwinden.

Ebenso wie die Generation von May befinden wir uns heute in einem kulturellen Übergangszustand, in welchem der technologische Wandel neue Lebensweisen mit sich bringt. Heute findet das alltägliche Leben vermehrt in geschlossenen Räumen statt, und neue Technologien wie das Internet oder soziale Medien haben einen großen Einfluss, während Naturräume seltener genutzt werden. Die Suche nach Sinn und Orientierung spielt eine große Rolle für viele Menschen, welche das Gefühl für das eigene Selbst verloren haben. Wie bereits Rollo May suchen zahlreiche Forscher*innen nach Lösungen im Umgang mit den negativen Folgen dieses Wandels. Basierend auf unter anderem Mays Ideen konnte die Entstehung heute zunehmend einflussreicher Strömungen wie der positiven Psychologie mitbegünstigt werden. Ebenso wie andere Teilgebiete der Psychologie:

Ökopsychologie: Die Ökopsychologie beschäftigt sich mit der Verbindung und Interaktion zwischen Mensch und Natur und deren positiven Auswirkungen. Das Gefühl der Zugehörigkeit zu etwas Größerem sowie persönliches Wachstum und heilende Effekte zählt die Ökopsychologie zu den Auswirkungen dieser Verbindung. Softas-Nall und Woody stellen in ihrem Artikel mehrere Forschungsergebnisse vor, welche belegen, wie Menschen davon profitieren können. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass Patient*innen in Krankenhäusern besser genesen können, wenn sie eine Aussicht ins Grüne genießen dürfen. Auch Menschen, die in städtischen Gegenden leben, in denen sie mehr Zugang zu Naturräumen haben, berichteten von geringerem Stress und erhöhtem Wohlbefinden. Ebenso können Sinnlosigkeit und Angst dadurch reduziert werden.

Ökotherapie: Diese Verknüpfung aus Ökopsychologie und Therapie bringt nun die eben vorgestellten Erkenntnisse in therapeutische Settings. Rollo May verstand die Beziehung zur natürlichen Welt als ein Schlüsselelement im Prozess der Suche nach sich selbst und Sinnhaftigkeit, weshalb er sie als gewinnbringend im therapeutischen Kontext erachtet. So könnte beispielsweise das Bewusstsein für die eigene Verbundenheit mit einem größeren Ganzen geschult werden um wieder mit sich selbst und der Natur in Einklang zu kommen. Praktisch könnte das umgesetzt werden, indem Therapien zumindest teilweise draußen und in Bewegung stattfinden. May war überzeugt, dass diese „Wieder-Verbind       ung“ sowohl die Überwindung von Depression und Angst möglich machen als auch Wohlbefinden, Gesundheit sowie Sinnhaftigkeit im Leben fördern kann.

Die Autor*innen plädieren dafür, den Ideen von Rollo May wieder mehr Gehör zu schenken und seine Vorschläge zur Wiederbelebung der Mensch-Natur-Verbindung umzusetzen, da sie zahlreiche positive Effekte auf unser aller physisches und psychisches Wohlbefinden haben kann. Sie sehen in Mays Thesen einen Startpunkt, an dem die heutige Psychologie ansetzen kann mit dem Ziel die Menschheit mit der Natur wieder zu vereinen.

 

Zusammengefasst von Johanna Salger

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