Ist Sinn im Leben wichtig oder überflüssig?

Wie bedeutsam ist das Gefühl von Sinnerfüllung für unser tägliches Leben? Hat das Fehlen von Sinn eine Auswirkung auf unsere psychische Gesundheit? Beeinflusst Sinnlosigkeit unser Wohlbefinden? Leiden wir, oder gibt es Menschen, die ihr Leben als sinnlos erleben und trotzdem zufrieden und glücklich sind?

Studien belegen, dass sich ein erstaunlich großer Anteil der Bevölkerung keine Gedanken um den Sinn im eigenen Leben macht. Sie finden ihr Leben nicht sinnvoll – dies scheint ihnen aber auch nichts auszumachen.

  • Dieses Phänomen kannte auch der deutsche Philosoph Martin Heidegger. Er sprach von einer „Alltäglichkeit“ der Menschen.
  • Der Humanistische Psychologe Abraham Maslow sah eine weit verbreitete „Wertelosigkeit“ in der westlichen Gesellschaft.

Tatjana Schnell verwendet in ihrer Arbeit den Begriff „Existentielle Indifferenz“ um eine gleichmütige Haltung zum eigenen Lebenssinn zu beschreiben.

Sie führte eine umfassende Untersuchung durch, in der sie 603 Deutsche zu ihrem Lebenssinn befragte. Mit Hilfe des Fragebogens zu Lebensbedeutungen und Lebenssinn (LeBe) konnten die Lebensbedeutungen der Teilnehmer identifiziert werden. Außerdem zeigte sich, ob das Leben als sinnerfüllt wahrgenommen wird oder nicht. Unabhängig davon wurde auch bestimmt, ob jemand unter einer Sinnkrise leidet oder keinen Leidensdruck empfindet.

Eine Person konnte also einer der 4 Kategorien angehören:

  1. Sinnerfüllt: sinnerfüllt ohne Sinnkrise
  2. In einer Sinnkrise: nicht sinnerfüllt und in einer Sinnkrise
  3. Existentielle Indifferenz: nicht sinnerfüllt aber auch nicht in einer Sinnkrise
  4. Widersprüchlich: sinnerfüllt aber auch in einer Sinnkrise

Die Studie zeigte, dass Existenzielle Indifferenz tatsächlich häufig vorkommt:

  • 61 % beschrieben ihr Leben als sinnerfüllt
  • nur 4 % litten unter einer Sinnkrise
  • aber 35 % (mehr als ein Drittel) beschrieben sich als existentiell indifferent

Durch Vergleiche der demografischen Daten der Teilnehmer stellte man fest, dass der Familienstand einer Person eine wichtige Rolle spielt.

  • Verheiratete (und auch Menschen die einmal verheiratet waren) erleben ihr Leben öfter als sinnerfüllt, als es existentiell indifferent Personen tun. Die Bereitschaft offiziell eine feste Bindung einzugehen, kann also Sinnerfülltheit fördern – oder Sinnerfüllte sind eher zur Heirat bereit!
  • Singles hingegen (und Verheiratete, die getrennt leben) erleben häufiger eine Sinnkrise. Das Single-Dasein scheint somit einen Risikofaktor für Sinnkrisen darzustellen.

Nicht verwunderlich dürfte sein, dass auch Arbeitslosigkeit zu einer Sinnkrise führen kann. Die Tatsache der Berufstätigkeit ist an sich aber noch kein Garant für Sinnerfülltheit. Schnell führt das in Ihrem Artikel auch auf die heutigen Arbeitsbedingungen zurück.

Zeigte sich in der Studie aber auch die von Maslow angenommene Wertelosigkeit in Form von fehlenden Lebensbedeutungen?

Ja! Existentiell Indifferente weisen in allen Lebensbedeutungen niedrigere Werte auf als sinnerfüllte Menschen. Das ist besonders stark zu beobachten bei:

  • Generativität (Tun oder Erschaffen von Dingen mit bleibendem Wert)
  • Bewusstem Erleben (Achtsamkeit und Rituale)
  • Harmonie (Ausgewogenheit und Gleichklang mit sich selbst und anderen)
  • Entwicklung (Zielstrebigkeit und Wachstum).

Und sie haben sogar niedrigere Werte als Menschen in einer Sinnkrise bei:

  • Selbsterkenntnis (Suche nach und Auseinandersetzung mit dem Selbst)
  • Spiritualität (Orientierung an anderer Wirklichkeit und Schicksalsglaube)
  • expliziter Religiosität (persönliche Gottesbeziehung)
  • Generativität (Tun oder Erschaffen von Dingen mit bleibendem Wert)

Hier scheint sich vor allem ein fehlender Wille, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, abzuzeichnen. Existenziell Indifferente kennen ihre eigenen Stärken und Schwächen weniger; ihnen liegt jedoch auch nichts daran, sich selbst zu überschreiten.

Eine zweite Studie wurde schließlich mit Studenten der Psychologie durchgeführt, um herauszufinden, ob sich diese Existentielle Indifferenz auch auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden auswirkt. Wieder wurde das Ausmaß an Lebenssinn mit Hilfe des LeBe erfasst. Außerdem wurden Fragebögen eingesetzt um einerseits Depression und Angst und andererseits die Stimmung und generelle Zufriedenheit einer Person zu messen.

Auch in dieser Studie waren sinnerfüllte Menschen (56 %), Menschen in einer Sinnkrise (7%) und Existentiell Indifferente (37%) ähnlich verteilt wie zuvor. Es zeigte sich hinsichtlich:

  • Stimmung und generelle Zufriedenheit: Existentiell Indifferente wiesen signifikant höhere Werte auf, als Personen in einer Sinnkrise, aber niedrigere Werte als sinnerfüllte Menschen.
  • Angst und Depression: Existentiell Indifferente haben signifikant niedrigere Werte als Menschen in einer Sinnkrise, aber vergleichbare Werte mit sinnerfüllten Menschen.

Das heißt, dass die psychische Gesundheit Existentiell Indifferenter mit der von sinnerfüllten Menschen vergleichbar ist, sie sind aber weniger zufrieden als sinnerfüllte Menschen.

Was trägt nun zu einem sinnerfülltem Leben bei?

Natürlich gibt es kein Patentrezept für Sinnerfüllung und auch die Wissenschaft kann hier keine allgemeingültige Antwort liefern. Nehmen Sie sich also am besten Zeit zum Reflektieren. Finden Sie heraus, wo Sie persönlich gerne hin möchten in Ihrem Leben. Was ist Ihnen wichtig? Was würden Sie nicht missen wollen?

Mein Tipp: Schaffen Sie sich Freiräume! Gönnen Sie sich Ihre „Ich-Zeit“. In unserer modernen Gesellschaft sind wir es bereits gewohnt, die Balance zwischen Familie, Beruf und Freunden finden zu müssen. Vergessen wir dabei jedoch uns selbst, kann es ganz leicht passieren, dass wir in unserer Alltäglichkeit gefangen bleiben.

“Because of indifference, one dies before one actually dies.”
Elie Wiesel

Von Sandra Schmid

Quelle:  Schnell, T. (2010). Existential Indifference: Another Quality of Meaning in Life. Journal of Humanistic Psychology, 50.

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