Zugehörigkeitsgefühle – essentiell oder „eh egal“?

Zhang, H., Sang, Z., Chan, D.KS. & Schlegel, R. (2018). Threats to belongingness and meaning in life: A test of the compensation among sources of meaning. Motivation and Emotion. https://doi.org/10.1007/s11031-018-9737-8

Die 2018 an der Universität Nanjing durchgeführte Studie untersuchte soziale Beziehungen als Sinnquelle und die Konsequenzen sozialen Ausschlusses für das Sinnerleben.

Es stellte sich heraus, dass Menschen, die soziale Beziehungen als Sinnquelle angaben, durchschnittlich eine höhere Sinnerfüllung in ihrem Leben hatten, als Menschen, die soziale Beziehungen nicht als Sinnquelle angaben. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Menschen, welche soziale Beziehungen nicht als Sinnquelle nutzten, dieses Defizit vermutlich nicht mit anderen Sinnquellen ausgleichen konnten.

Außerdem schien das Ausmaß, in dem bestimmte Lebensbereiche zur Sinnerfüllung beitrugen, über die persönliche Bedeutung dieser als Sinnquelle zu bestimmen. Am Beispiel der sozialen Beziehungen hieße das: Je öfter ich mich zugehörig fühle, desto eher erlebe ich die sozialen Beziehungen als wichtige Sinnquelle. Dieser Zusammenhang mag zunächst fast schon zu logisch klingen. Bei genauerer Betrachtung erkennt man jedoch den toten Winkel, der sich dadurch für Sinnquellen ergibt. Erfährt man wenig Bestätigung aus einem Lebensbereich, so könnte man meinen, dieser sei für das persönliche Sinnerleben nicht so wichtig. Bei häufigerer Bestätigung könnte er dies jedoch sein.

Das zugrundeliegende Prinzip wirkt bei sozialem Ausschluss, also der Frustration des Zugehörigkeitsgefühls, auf ähnliche Weise. Die Studie zeigte in einem psychologischen Experiment: Personen, die mit sozialem Ausschluss konfrontiert waren, bewerteten ihr Leben aus zwei Gründen als weniger sinnvoll. Zum einen wegen des verringerten Gefühls der Zugehörigkeit. Zum anderen, weil sie sich von sozialen Beziehungen als Sinnquelle abwendeten. Das „nicht Bedienen“ der Sinnquelle (soziale Beziehungen führten nicht zu Zugehörigkeit, sondern zu Ausschluss) führte zu einer Verminderung ihrer Wertigkeit. Zusätzlich ging mit der Ausgrenzung ein psychischer Schmerz einher, welcher dazu führte, dass die sozialen Beziehungen als Sinnquelle abgewertet wurden. Dies mag ein Schutzmechanismus sein, der zum Ziel hat den psychischen Schmerz zu verringern. Er kann ungefähr so verstanden werden: „Wenn soziale Beziehungen für mich nicht so wichtig sind, dann verletzt mich soziale Zurückweisung auch nicht so sehr.“ Folglich spielt man einfach die Bedeutung von sozialen Beziehungen herunter. Da die Realität im Sinne der Zurückweisung nicht mehr verändert und der Schmerz nicht ungeschehen gemacht werden kann, wird entsprechend die Einstellung gegenüber der Realität angepasst, um den Schmerz zumindest zu verringern. Der entscheidende Punkt hierbei ist aber, dass es dadurch zu einer Abwendung von sozialen Beziehungen als Sinnquelle kommt und dies wiederrum zu geringerer Sinnerfüllung führt.

Abschließend möchte ich mein Wort direkt an den/die Leser_in richten. Die vorliegende Dynamik enthält nämlich einen paradoxen Aspekt. Wenn ich nun die essentielle und nicht ersetzbare Rolle von sozialen Beziehungen zu meinem Schlusswort mache, fühlen Sie sich bei Ihrer nächsten Zurückweisung vermutlich schlechter als Sie es sonst getan hätten. Deshalb wenden Sie sich eventuell innerlich von sozialen Beziehungen als Sinnquelle ab und folglich erschiene Ihnen Ihr Leben ein klein wenig sinnloser. Eine Möglichkeit diesen Mechanismus auszuhebeln wäre nun die Wichtigkeit von Autonomie zu betonen. Zum Beispiel könnte ich Ihnen sagen, dass soziale Beziehungen Sie in Ihrer Autonomie einschränken und Sie daran hindern Sie selbst zu sein. Dadurch würden Sie vermutlich die nächste Zurückweisung einer anderen Person in positiverem Licht sehen und etwas denken, wie: „Hach, gar nicht so schlimm, ohne diesen Menschen bin sowieso ich viel freier!“. Der soziale Ausschluss wäre dadurch für Sie weniger bedrohlich und Sie würden keine Notwendigkeit darin erkennen sich von sozialen Beziehungen als Sinnquelle abzuwenden. Schlussendlich könnten Sie so Ihren Lebenssinn zumindest kurzfristig aufrechterhalten. Jedoch scheint mir eine Betonung der negativen Seiten von sozialen Beziehungen nicht gerade sinnvoll, um langfristig bei Ihnen zu bewirken, dass Sie soziale Beziehungen als Sinnquelle nutzen.

Deshalb ist nun mein Fazit:
Seien Sie sich der essentiellen Rolle von sozialen Beziehungen bei der Sinnfindung bewusst, aber lassen Sie sich dadurch von sozialen Rückschlägen nicht zu sehr einschüchtern. Begegnen Sie diesen mit einer gewissen Akzeptanz und versuchen Sie diese als natürlichen Teil des Lebens anzuerkennen.

Abschließend muss jedoch noch darauf hingewiesen werden, dass es sich hierbei um Forschungserkenntnisse handelt, welche in einer kollektivistischen Kultur gewonnen wurden. In solchen werden Werte wie Gemeinschaft besonders betont und auch sozialer Ausschluss wird eventuell anders empfunden. Deshalb können die Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf individualistische Kulturen übertragen werden und sind eher als ein vorläufiger Ansatz zu verstehen, welcher für andere Kulturen überprüft werden muss.

Zusammengefasst von Manu Besthorn

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