Sinnerleben und Immunabwehr in der Schwangerschaft – abhängig vom sozioökonomischen Status?

Mitchell, A.M., & Christian, L.M. (2019). Repetitive negative thinking, meaning in life, and serum cytokine levels in pregnant women: varying associations by socioeconomic status. Journal of Behavioral Medicine, 1-13.

Das Immunsystem in der Schwangerschaft

Das Immunsystem ist das körpereigene Abwehrsystem – ein komplexes Netzwerk aus verschiedenen Organen und Zelltypen – das uns vor Infektionen, Bakterien, Viren, Pilzen und Krankheiten im Allgemeinen schützt. Während einer Schwangerschaft leistet das Immunsystem besondere Arbeit: Einerseits muss der Körper der Mutter weiterhin aktiv vor Krankheiten geschützt werden, auf der anderen Seite darf das Immunsystem den teils fremden (mit väterlichen Merkmalen ausgestatteten) Embryo nicht abstoßen.

Für die körpereigene Immunabwehr sind vor allem die Zytokine „Interleukin 4“ und „Interleukin 6“ von Bedeutung. Zytokine sind Proteine, die für das Zellwachstum und die Zellregulation im Körper zuständig sind. Der passende Zytokinspiegel ist für schwangere Frauen besonders wichtig: Gerät der Zytokinspiegel aus dem Gleichgewicht, kann das zu einer Gefahr für die Gesundheit von Mutter und Kind werden, weil dadurch Komplikationen während der Schwangerschaft oder bei der Geburt auftreten können.

Zytokinlevel, Sinnerleben und negative Gedankenmuster

Ein funktionierendes Immunsystem geht Hand in Hand mit dem psychischen Wohlbefinden einer Person, was neben vielen anderen Einflüssen durch das Sinnerleben und die Art der auftretenden Gedanken bestimmt wird. Wird das Leben als stimmiges Ganzes verstanden, als bedeutungsvoll und richtungsweisend bewertet, spricht man von Sinnerfüllung. Wiederkehrende negative Gedankenmuster gefährden das psychische Wohlbefinden. Sie zeichnen sich durch unproduktives und nicht-zielführendes Grübeln aus, das die geistige Leistungsfähigkeit aus Sicht der Betroffenen merklich einschränkt. Das Sinnerleben sollte in einem positiven Zusammenhang mit einem gesunden Zytokinspiegel stehen, wohingegen angenommen wird, dass negative Gedankenmuster mit einer schlechteren Immunantwort einhergehen. Mitchell und Christian (2019) untersuchten hierzu 67 schwangere Frauen.

Sozioökonomischer Status

In die Überlegungen wurde zusätzlich der sozioökonomische Status der Frauen einbezogen. Der sozioökonomische Status wird bestimmt über den Bildungsgrad, das jährliche Einkommen, die wahrgenommene soziale Klasse und den Erhalt von speziellen staatlichen Förderungen. Er stellt also ein Maß für die soziale Schicht dar, der eine Person angehört. Ein niedriger sozioökonomischer Status, eine niedrige Einkommensklasse und niedriger Bildungsgrad werden im Allgemeinen verbunden mit vermehrtem Stresserleben (z.B. durch finanzielle Sorgen) und weniger Möglichkeiten diesen Stress zu bewältigen (z.B. durch mangelnde soziale Unterstützung, finanzielle Mittel, …). Davon ausgehend würde ein niedriger sozioökonomischer Status mit einer schlechteren Immunantwort einhergehen, wie es vorangegangene Studien bestätigen konnten.

Sinnerleben und Zytokinwerte? Zusammenhang nur bei wohlhabenden Schwangeren

In der Studie von Mitchell und Christian (2019) wurde das Zytokinlevel über die zwei Werte „Interleukin 4“ und „Interleukin 6“ gemessen. Für schwangere Frauen mit hohem sozioökonomischem Status ging – wie erwartet – ein niedriges Sinnerleben mit schlechteren Zytokinwerten (erhöhtem Interleukin 6 und verminderte Interleukin 4 Werte) einher. Ebenfalls ging das vermehrte Vorkommen negativer Gedankenmuster mit schlechteren Zytokinwerten einher.

Für schwangere Frauen von niedrigem sozioökonomischem Status zeigten sich diese Zusammenhänge interessanterweise nicht. Die Zusammenhänge zwischen psychologischen Faktoren und Zytokinlevel traten also eher im Kontext eines hohen sozioökonomischen Status auf. Was bedeutet das? Nach den Autoren (Mitchell & Christian, 2019) liegen für Frauen aus einer niedrigeren Einkommensklasse vermutlich andere erklärende Faktoren, die einen Einfluss auf ihr Immunsystem haben, zugrunde.

Persönliches Fazit

Die Entwicklung eines jeden Menschen setzt schon vor der Geburt ein. Diese vorgeburtliche Entwicklung leistet einen maßgeblichen Beitrag zur Gesamtentwicklung des Kindes und somit für seine Gesundheit und den weiteren Lebensweg. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen wie wichtig das Zusammenspiel psychologischer Aspekte mit der körperlichen Gesundheit ist. Im Allgemeinen kann das Erleben von Sinn in belastenden Lebenssituationen eine Art Puffer für die Gesundheit darstellen, da Belastungen als weniger bedrohlich wahrgenommen werden.

Warum gab es in der vorliegenden Studie für sozioökonomisch schwache Frauen keinen Zusammenhang von Sinnerleben und der Immunantwort? Die materiellen Belastungen in der Gruppe der sozioökonomisch schwachen Schwangeren könnten so stark sind, dass der Puffereffekt von Lebenssinn in schwierigen sozioökonomischen Situationen hier nicht mehr zum Tragen kommt. Es scheint nahezuliegen, dass die Deckung der Grundbedürfnisse, der Zugang zur Gesundheitsversorgung und ein Gefühl von Sicherheit in den Vordergrund rücken, wenn für eine Frau mit der Schwangerschaft nicht mehr nur das Selbst, sondern der zusätzliche Schutz ihres Kindes von grundlegender Wichtigkeit ist.

Ich würde mir wünschen, dass schwangere Frauen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status zumindest die Möglichkeit dazu haben, das eigene Sinnerleben als Ressource für sich wahrzunehmen. Dazu müssten aber auch die äußeren Rahmenbedingungen stimmen. Nur, wenn jede/r unabhängig vom sozioökonomischen Status uneingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem hat, kann man dem Menschen in seiner komplexen Entwicklung gerecht werden – am besten schon von einem Zeitpunkt an, bevor ein Kind das Licht der Welt erblickt.

Zusammengefasst von Carmen Hoffmann

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