Sinnerleben versus Entfremdung am Arbeitsplatz

Shantz, A., Alfes, K., & Truss, C. (2014). Alienation from work: Marxist ideologies and twenty-first-century practice. The International Journal of Human Resource Management, 25(18), 2529-2550.

In diesem Forschungsprojekt wurden spezifische Vorbedingungen und Auswirkungen von Arbeitsentfremdung nach Marx (1844/2005) untersucht. Marx (1844/2005) definierte Arbeitsentfremdung als die Abspaltung des Arbeiters sowohl vom Produkt, von der Arbeitstätigkeit und von den anderen Mitarbeitern. Nach Marx (1844/2005) ist die ökonomische Infrastruktur der Gesellschaft verantwortlich für die Arbeitsentfremdung, welche wiederum weiterführend zur (allgemeinen) sozialen Entfremdung führt. Anhand der Theorien von Marx (1844/2005) überprüften die Forscherinnen nun an der modernen Arbeitswelt drei Faktoren: Einflussnahme auf der Arbeit, Person-Job Fit (die Passung zwischen dem Wissen, den Fertigkeiten und den Fähigkeiten einer Person mit den Anforderungen eines Jobs; Edwards, 1991) und Sinnerleben bei der Arbeit, welche alle einer Arbeitsentfremdung entgegenwirken könnten.

In Anlehnung an Karger (1981) und dessen Aufruf zum Kampf gegen Arbeitsentfremdung untersuchten die Forscherinnen noch zwei weitere Faktoren, bei denen sie von Folgewirkungen durch Arbeitsentfremdung ausgehen: während emotionale Erschöpfung mit Arbeitsentfremdung positiv zusammenhängen könnte, könnte Wohlbefinden mit Arbeitsentfremdung negativ zusammenhängen. Es wurden Fragebögen über Arbeitsentfremdung und die weiteren fünf Faktoren an Arbeiter einer Plastikmanufaktor in Großbritannien ausgeteilt. Unter den untersuchten Teilnehmern befanden sich die zwei großen Arbeitsgruppen von knapp 60% Prozess-, Anlagen- und Maschinenbedienern und knapp 20% Führungskräfte, sowie mehrere kleinere Arbeitsgruppen.

Es konnten alle Hypothesen der Forscherinnen bestätigt werden, sodass zusammengefasst davon ausgegangen werden kann, dass sowohl Einflussnahme auf der Arbeit, Person-Job Fit und Sinnerleben, als auch emotionale Erschöpfung und geringeres Wohlbefinden mit Arbeitsentfremdung zusammenhängen.

Interessant ist der Umstand, dass sich die insgesamt sechs Faktoren gegenseitig beeinflussen, aber alle hinsichtlich ihrer Eigenständigkeit voneinander unabhängige Konstrukte darstellen. Überlegungen, dass Arbeitsentfremdung möglicherweise in einem bipolaren Gegensatz zu einem anderen psychischen Phänomen, z. B. zu Engagement (Hirschfeld und Feild, 2000) oder zu Involviertsein (Kanungo, 1982), stehen könnte, stehen die Forscherinnen eher kritisch gegenüber. Da aber in der Realität komplexe Zusammenhänge mit mehreren psychischen Phänomenen bestehen, z. B. das, wie in diesem Forschungsprojekt, Sinnerleben, aber auch Einflussnahme auf der Arbeit und Person-Job Fit negativ mit Arbeitsentfremdung zusammenhängen, könnte man daraus den Schluss ziehen, dass das Verhältnis von zwei bestimmten Konstrukten, wie zwischen Sinnerleben und Entfremdung bei der Arbeit, eventuell nicht durch eine einfache Gegensätzlichkeit erklärt werden kann, sondern die zwei Konstrukte möglicherweise (kurz gesagt) in einem immer gleichzeitig interagierenden, prinzipiell nie komplett aufklärbaren Verhältnis zueinander stehen (Georgi, 2016).

Das Forschungsprojekt zeigt, durch welche dynamische Veränderungen von Seiten der Arbeitgeberschaft Arbeitsentfremdung entgegengewirkt werden kann und mit welchen Folgen zu rechnen ist. Es bleibt abzuwarten, ob die Arbeitgeberschaft der modernen Arbeitswelt das Problem auch im Rahmen der tendenziellen Entwicklung von der (allgemeinen) Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und der damit einhergehenden höheren Komplexität der Entfremdungsphänomene durch zusätzliche Verschiebung von der Arbeits- zur sozialen Entfremdung (Weber, 2006) bewältigen wird.

Quellen:

Edwards, J. R. (1991). Person-Job Fit: A conceptual integration, literature review, and methodological critique. International Review of Industrial and Organizational Psychology, 6, 283-357.

Georgi, M. (2016). Angewandter Komplementarismus zur Erklärung des Absurden: Das Ergebnis der nicht-kommutierenden Formel zur synchronistischen Entfremdung vom Lebenssinn. Unveröffentlichte Seminararbeit. Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.

Hirschfeld, R. R., & Feild, H. S. (2000). Work centrality and work alienation: Distinct aspects of a general commitment to work. Journal of Organizational Behavior, 21, 789-800.

Kanungo, R. N. (1982). Work Alienation. New York: Praeger.

Karger, H. J. (1981). Burnout as alienation. Social Service Review, 55, 270-283.

Marx, K. (1844/2005). Ökonomisch-philosophische Manuskripte. Hamburg: Felix Meiner Verlag.

Weber, W. G. (2006). Added Value statt menschlichen Werten? Zur Genese von sozialer Entfremdung in Arbeit und sozialer Interaktion. Journal für Psychologie, 14, 120-146.

Zusammengefasst von Markus Georgi

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