Atheismus und religiöse Indifferenz

Bullivant, S. (2012). Not so indifferent after all? Approaching Religion 2(1), 100-106.

„Das selbstbewusste Bekenntnis zu positivem Atheismus kommt eher in religiösen Kulturen und nicht etwa säkularen vor“ – so lautet die These des britischen Soziologen Steve Bruce. Dies klingt zunächst ein wenig unglaubwürdig. So würde man doch meinen, in religiösen Kulturen kämen solche Bekenntnisse zum Atheismus seltener vor. Doch wie Bruce argumentiert, würden gerade Gesellschaften, die ihre Religiosität explizit ausdrücken, eine aktive Gegenbewegung verstärken. Warum sollte eine Gesellschaft den Nichtglauben besonders ernst nehmen, wenn der Glaube selbst keine Rolle spiele? So geht Bruce davon aus, dass in religiös indifferenteren Gesellschaften (wie es viele Westeuropäische sein sollen) auch eine atheistische Indifferenz vorhanden wäre.

Positiver Atheismus: Im Gegensatz zu negativem Atheismus (die bloße Abwesenheit des Glaubens an einen Gott) der feste Glaube daran, dass es keinen Gott gibt.

Religiös indifferent: Die Gleichgültigkeit gegenüber institutionellen Religionen und ihren Lehren. Das muss nicht zwingend zur Ablehnung oder Kritik dieser führen.

Etwas anders sieht es der Theologe Stephen Bullivant. Seiner Meinung nach würden sich viele westeuropäische Gesellschaften doch auf bestimmte Weise für Religiosität interessieren. Er bezweifelt also die von Bruce beschriebene Indifferenz. So weist er auf die steigenden Zahlen an Studenten hin, die sich für religiöse Fächer einschreiben würden. Für ein steigendes Interesse würden auch die von den Medien in großem Umfang dokumentierten Anschläge des vorherigen Jahrzehntes sorgen.

Die letzten Jahre waren voll mit negativen, weltbewegenden Ereignissen, die mit Religiosität in Verbindung standen – so etwa die Terroranschläge vom 11. September und die Bombenattentate in London und Madrid. Religion war dabei stets ein Motiv der Täter und provozierte dementsprechend religionskritische Bewegungen.

Nach Bullivant würde die religiöse Indifferenz allgemein überschätzt werden. Dabei nimmt er sich der Ergebnisse einer Kollegin an, die in ihrer Dissertationsarbeit Interviews mit Menschen durchführte, die in London leben. Die Interviews drehten sich um die Selbstbeschreibungen der Menschen, die sie im Bezug auf ihre eigene Religiosität machten. Ein auffälliges Muster war jenes, dass sich viele Personen als religiös indifferent bezeichneten. Fragte man sie jedoch nach dem Grund dafür, so offenbarten die meisten, dass ihre Entscheidung auf einer längeren Beschäftigung mit dem Thema Religion gründete. Auch Bullivant ist der Ansicht, eine ernsthafte Selbstbezeichnung als religiös indifferent setze eine gründliche Beschäftigung mit Religion voraus.

Zusammenfassend sieht Bullivant die Tatsache, dass Menschen wenig Interesse daran haben, Religion auszuleben nicht als Grund, religiös indifferent zu sein. Entscheidend dabei ist, zwischen Religion als Lebenseinstellung und Religion als Subjekt des eigenen Interesses zu unterscheiden.

Die Argumente des Autors basieren auf Untersuchungen, die mit britischen Bürgern durchgeführt wurden, können generell aber wohl auch auf andere westeuropäische Gesellschaften übertragen werden.

Zusammengefasst von Thomas Egger

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